Montag, 6. August 2012

Feudalismus 2.0


Technische Neuerungen, heißt es immer noch, machten uns grundsätzlich freier und  entlasteten uns von stupider Arbeit. Wer da zu widersprechen wagt, gilt schnell als piesepömpliger Bedenkenträger. Natürlich möchte kaum jemand die Möglichkeiten noch missen, die zum Beispiel das Internet in puncto Kommunikation und Information bietet. Doch wäre es schlicht töricht, nicht auch über den Preis zu reden, den das hat. So wird oft geschrieben und diskutiert, dass die Grenzen zwischen öffentlich bzw. beruflich und privat immer mehr verschwömmen. Mitarbeiter müssen via E-Mail und Handy rund um die Uhr erreichbar sein, auch im Urlaub, und Millionen exponieren sich bereitwillig via facebook und Co einer wachsenden Öffentlichkeit.

Nun kann man einwenden, es sei die freie Entscheidung jedes Einzelnen, ein facebook-, Xing- oder sonstiges Profil zu haben oder auch nicht. Das mag noch so sein, aber damit dürfte es in absehbarer Zeit vorbei sein. Dann dürfte sich bei Bewerbungen bald verdächtig machen, wer sich dem digitalen Exhibitionismus verweigert. „Ach, Sie sind nicht bei facebook? Haben Sie etwa etwas zu verbergen? Oder mangelt es ihnen auch sonst an Offenheit?“ Ein knappes „Meine Sache“, wird als Antwort immer seltener akzeptiert sein.

Wie weit wir bereits gekommen sind auf diesem Weg, zeigt ein Artikel von Sebastian Jannaschs in der FAZ. Der bietet einen schönen Einblick in das, was immer mehr Menschen in Zukunft erwarten wird. Es lohnt sich, das genau zu lesen, obwohl es Übelkeit hervorruft. Es geht längst nicht mehr darum, einen tadellosen Lebenslauf und gute Zeugnisse vorzuweisen. Nein, man muss seinen Netzauftritt pflegen. Den Tipps nach zu schließen, die Jannasch im Köcher hat, ist das nicht weniger als ein Vollzeitjob. Twittern, bloggen, auf Kommentare eingehen, diverse Profile in diversen Netzwerken aktuell halten - das muss schon wuppen, wer sich als Topmacher und Entscheider andienen will. Und immer sauber bleiben, versteht sich. Wann arbeiten diese Leute eigentlich mal?

Auch der Einwand, es gehe dort ja nur um hoch spezialisierte Führungskräfte, die müssten sich eben genauer durchleuchten lassen, greift zu kurz. Man lese Barbara Ehrenreichs Arbeit poor, in dem sie einen Selbstversuch a'la Wallraff schildert, in den USA Ende der Neunziger von gering qualifizierten Dienstleistungsjobs zu leben und welchen Aufwand unter anderem nötig war, einigermaßen heil die Persönlichkeits- und Drogentests zu überstehen, die dort schon für miserabel bezahlte Hilfsarbeiten im Supermarkt verlangt wurden.

Denn das Verschwinden des Privatlebens ebnet den Weg in einen neuen Feudalismus, in dem ein Mitarbeiter quasi wieder Eigentum seines Dienstherrn ist. Früher, da war es nicht unüblich, dass nicht allein guter Wille, Qualifikation und gepflegtes Auftreten ausreichten, um einen Job zu kriegen. Nein, es kam vor, dass der Chef auch ansonsten Wert auf einen tadellosen Lebenswandel seiner Angestellten legte. Da musste dann ein verdienter Mitarbeiter dafür bürgen, dass der Neue in der Freizeit keine Dummheiten machte. Dass das Privatleben seiner Mitarbeiter einen Arbeitgeber im Prinzip nichts angeht, so lange die Arbeit davon nicht berührt ist, kann man durchaus als zivilisatorischen Fortschritt begreifen.

Der wird nicht zuletzt dank sozialer Netzwerke gerade wieder abgeschafft. Es ist verrückt: Einerseits finden Experimente mit anonymisierten Bewerbungen statt, andererseits haben noch nie so viele so viel Privates voneinander gewusst. Auch das hat seinen Preis. Wer ein Foto im Netz stehen hat, auf dem er eine Kippe im Mundwinkel hat und vielleicht gar einen Drink in der Hand, muss befürchten, als kettenrauchender Alkoholiker aussortiert zu werden. Um drei Uhr morgens beim Feiern geknipst? Also bitte, wie will so jemand fit for job sein? Der moderne Jobsklave hat sich nicht nur rund um die Uhr parat zu halten. Er hat sich auch in seiner verbleibenden Freizeit gefälligst keinerlei gesundheitsgefährdenden Vergnügungen hinzugeben.

Dabei tun Arbeitgeber, die digital herumschnüffeln, noch nicht einmal etwas Verbotenes. Sie nutzen nur die Möglichkeiten, die sich ihnen völlig legal bieten. Kaum jemand ist übrigens frei davon: Wer noch nie einer Angebeteten im Netz hinterhergegoogelt hat, um mehr über sie zu erfahren oder an ein Foto zu kommen, möge den ersten Stein werfen.



6 Kommentare :

  1. Hallo Herr Rose

    Auf das Thema bin ich auch schon einige Male irgendwo im www gekommen ... beim Duderich und heute unter ad sinistram (noch nicht veröffentlicht).

    Deswegen gehe ich nur kurz auf diesen Punkt ein:
    "diversen Netzwerken aktuell halten - das muss schon wuppen, wer sich als Topmacher und Entscheider andienen will. Und immer sauber bleiben, versteht sich. Wann arbeiten diese Leute eigentlich mal?"

    Kaum, zumindest nicht in dem Sinne, wie wir uns Arbeit vorstellen. Durfte jahrelang "beisitzen" und mich wundern (gut, nachher wundert man sich nicht mehr). Für jene bleibt die "Arbeit" - das, womit man sich am Tage überwiegend beschäftigt - fast die gleiche, nur u.U. mit anderen Instrumenten. Bzw. man implementiert das, was man tut gleichwohl direkt in die Gesellschaftskultur. So schafft man Fakten. Ist doch gar nichts Neues, den ganzen Tag Verbindungen knüpfen, Netzwerke pflegen und die Strategien dazu zu entwickeln, Allianzen bilden ... ein Gerangel und Geknüpfe ohnegleichen.

    Habe mich oft genug gefragt, wie Wirtschaft/Markt es geschafft hat, trotzdem zu wachsen ... so sich kaum jemand auf die tatsächlichen Inhalte konzentriert. Ohne die Eigendynamik ... Da könnte man beinahe dankbar sein, dass durch das "Schimpansen-in-Anzügen-Gehabe" das Wachstum noch kupiert wird. Man stelle sich vor, diese Bremse sei gar nicht vorhanden und man würde sich nicht gegenseitig ständig Steine in den Weg legen, sondern stur auf die Inhalte konzentrieren. Nun denn, wenn alle dies tun sollen ... wird es möglicherweise langsamer werden

    Gruss
    Rosi

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    1. Tja, so ist das wohl - offenbar habe ich einen zu engen Begriff von 'arbeiten', so im Sinne von 'Leistung erbringen und so...

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    2. *grins* ... der Begriff ist stets Interpretationssache, es entscheidet sowohl der Betrachter, wie auch dessen Position.

      Bedenken Sie: Wer die eine Hand bereits voller "Verantwortung" hat und mit der anderen in Netzwerken rührt, dem fällt es schwer, noch Leistung zu tragen. Der Mensch hat schließlich nur zwei Hände. Außerdem sind dazu jene da, die man im weitesten Sinne alle ausgerechnet wegen ihrer arbeitenden Tätigkeit Arbeiter nennt - mehr oder weniger.

      Dann gibt es noch die Angestellten. Gute Angestellte stellen sich gut an.

      Übrig bleiben jene mit der Verantwortung, die sie meinen führen zu müssen. Wie den Waldi an der Leine. Der Sinn des Führens ist der Auswurf eines Ergebnisses (ergo Objekt). Das Führen selbst führt zu keinem direkten Ergebnis, das mag auf den ersten Blick so aussehen (*kicher, man stelle sich das Bild vor, es sei anders). Beim Führen entfaltet somit das geführte Subjekt - nebst seinen Objekten - die Dynamik. Nicht jener am anderen Ende der Leine ;-)). Man fühlt sich nur berufen, die Leine zu halten bzw. eine solche halten zu müssen.

      Doch wir wissen alle, Waldi könnte das auch ohne Leine, vermutlich wesentlich stressfreier. Er verzichtet dabei gerne auf das Lob: "Fein gemacht" oder die Maßregelung: "Dududu, nicht ausgerechnet dort" - wobei er beim Letzteren höchstwahrscheinlich eh eine andere Stelle gewählt hätte, doch die Leine war einfach zu kurz und/oder der Leinenhalter nicht aufmerksam genug, zu unflexibel.

      Weil das so ist, müssen die Führer der Verantwortung (die Leinenträger) regelmäßig öffentlich bekräftigen (und gegenseitig bestätigen), dass diese "Leistung" höchst wichtig sei und der Arbeit gleich käme. Macht sonst niemand, hat offensichtlich keine andere Gruppe nötig. Beim Arbeiter weiß man doch, dass er schwer arbeitet, das sagt doch schon der Begriff *grins*. Der Angestellte stellt sich etwas an und hält sich in der Regel lieber mehr bedeckt.


      Lieben Gruß
      Rosi

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  2. Schöner Text, dem ich 100%ig zustimme!

    Meine Abmeldung bei Facebook und wkw, kam einer Katharsis gleich.

    Zum Thema:
    Als Arbeitnehmer hat man sich halt zu optimieren, dem Wertschöpfungsprozess vorauseilend anzugleichen. Wer arbeitslos wird, hat eben zu wenig fortgebildet (gefaulenzt in der Freizeit?) und eine schlechte Internetpräsenz. Und überhaupt: Prinzip 'selber schuld'.

    George Orwell hat ausgedient. Wir brauchen keinen Obrigkeitsstaat, wir überwachen uns schon selber.

    Gruß, Duderich

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    1. Besten Dank. Irgendeine Form von gesundem Misstrauen hat mich bislang erfolgreich davon abgehalten, mich bei Fratzbuch und Co. überhaupt anzumelden.
      Orwell hat eine Menge Bedenkenswertes hinterlassen, aber schon Neil Postman hat in den Achtzigern gemeint, dass Aldous Huxley mit 'Brave New World' die plausiblere Dystopie hingelegt hat: Dort habe das System die Leute dazu gebracht, ihre Unterdrücker zu lieben (in der Einleitung von 'Wir amüsieren uns zu Tode' zu lesen).

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    2. So geht es mir auch ... halte es so, kommt für mich nicht infrage.

      Temporär eine Entscheidung, die fast schon ins Wanken geriet. Doch die Zeitereignisse überholten meine Zweifel. Dös werden wir also glatt sein lassen.

      Lieben Gruß
      Rosi

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