Montag, 29. Februar 2016

Sie sind wieder da


"Die Geschichte ist nicht die stetige Entfaltung der Vernunft." (John Gray)

So genannte Psychotests haben ja, vor allem wenn sie in Illustrierten erscheinen, einen eher schlechten Ruf. Auch als psychologischer Laie würde ich sagen: meist durchaus zu recht. ("Mit wem würden Sie lieber einen zweiwöchigen FKK-Urlaub auf Spiekeroog verbringen? a) mit Beatrix von Storch, b) mit Jennifer Lawrence? Wenn Sie a) angekreuzt haben, sind Sie ein unkonventioneller Zeitgenosse mit exotischen Interessen, der sich nicht anpassen mag und seinen eigenen Weg geht. Wenn Sie b) angekreuzt haben, sind Sie ein Schlingel.")

Spaß beiseite, es gibt schließlich auch Relevantes. In den 1950ern entwickelte man an der University Of Califonia im Rahmen des Forschungsprojektes The Authoritarian Personality (Adorno/Frenkel-Brunswick/Levison/Sanford, 1950) die F-Skala, die dazu dienen sollte, allgemein antidemokratische Tendenzen bei Menschen zu verorten. Frappierend, wie aktuell einem das offenbar immer noch ist. Wenn man sich nämlich ein wenig mit Phänomenen wie Pegida, AfD et al. befasst, die Einlassungen eines Teils der Poster in jedem beliebigen Forum zum Thema Flüchtlinge liest, dann wirken die neun Persönlichkeitszüge, auf denen die Skala basiert, erschreckend vertraut:

  • Konventionalismus. Starre Bindung an die konventionellen Werte des Mittelstandes. 
  • Autoritäre Unterwürfigkeit. Unkritische Unterwerfung unter idealisierte Autoritäten der Eigengruppe. 
  • Autoritäre Aggression. Tendenz, nach Menschen Ausschau zu halten, die konventionelle Werte missachten, um sie verurteilen, ablehnen und bestrafen zu können. 
  • Anti-Intrazeption. Abwehr des Subjektiven, des Phantasievollen, Sensiblen. 
  • Aberglaube und Stereotypie. Glaube an die mystische Bestimmung des eigenen Schicksals, die Disposition in rigiden Kategorien zu denken. 
  • Machtdenken und "Kraftmeierei". Denken in Dimensionen wie Herrschaft - Unterwerfung, stark - schwach, Führer - Gefolgschaft; Identifizierung mit Machtgestalten; Überbetonung der konventionalisierten Attribute des Ich; übertriebene Zurschaustellung von Stärke und Robustheit. 
  • Destruktivität und Zynismus. Allgemeine Feindseligkeit, Diffamierung des Menschlichen. 
  • Projektivität. Disposition, an wüste und gefährliche Vorgänge in der Welt zu glauben; die Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt. 
  • Sexualität. Übertriebene Beschäftigung mit sexuellen „Vorgängen“
(Ein modifizierter und vereinfachter Fragebogen nebst Auswertung findet sich hier.)

Was lernen wir daraus? Es ist ein Fehler, das Erstarken neurechten und rechtspopulistischen Diskurses bei uns allein als Folge sozialer Ungleichheit zu begreifen. Das ist es sicher auch, aber es sind eben nicht allein die Wendeverlierer, die Zukurzgekommenen, die wirtschaftlich Abgehängten, die Ängstlichen und Verzagten, die gerade zivilisatorische Mindeststandards über Bord werfen. Es ist ein bestimmter Typus Mensch, der da, von Eliten und Medien wohlwollend begleitet, mit Macht in die gesellschaftliche Mitte drängt. Zu einem (schon älteren) Gesetz in Polen, das die Zwangskastration von Sexualstraftätern ermöglicht, ergingen sich etwa der FPÖ-Politiker Wolfgang Zistler und seine Anhänger darin, sich auszumalen, wie man das möglichst kostensparend, brutal und schmerzhaft erledigen könnte. Warum? Was gibt ihnen das?

"Wie schon vor Jahrzehnten in Studien erhoben wurde, sind derlei sadistische Betrafungsgelüste Ausfluss einer verinnerlichten Unterwerfung unter Autoritäten und der Überidentifikation mit Stärke und Gewalt, die wiederum das Trauma liebloser Kindheiten und die Erfahrung von Machtlosigkeit kompensieren soll. Wer nie gelernt hat, mit der Wut, die das Individuum in hierarchisch organisierten Gesellschaften empfinden muss, konstruktiv umzugehen, wer nicht gegen unzumutbare Zustände rebelliert sondern immer nur den Mächtigeren gefallen will, der neigt zu Gewaltfantasien, die er, falls man ihm Gelegenheit dazu gibt, auch auslebt." (Bernhard Torsch, ebd.)

Sie sind längst zurück. So sie denn je weg waren. Auch bei uns kühlt dieser Typus Mensch schon länger sein Mütchen, aber längst nicht nur an Migranten und Flüchtlingen. Schon die Agenda 2010 half den Autoritären, den Sozialdarwinisten, den asozialen Arschlochexistenzen aufs Pferd. Nicht nur rechte Kreise, auch Neoliberalismus ist ein prima Humus, auf dem sie gedeihen. Daher konnte man sie z.B. in Griechenland bei der Arbeit bewundern. Mit der so genannten Flüchtlingskrise ist die nächste Stufe gezündet und die, die die Geister einst gerufen haben, verstehen immer noch bloß Bahnhof. Das ist ja das wirklich Beunruhigende.



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