Mittwoch, 29. März 2017

Bruchbude ohne Halbgötter


Die momentan in der ARD laufende und in der Mediathek abrufbare Miniserie 'Charité' lässt sich durchaus mit Gewinn anschauen. Das kam einigermaßen überraschend für mich, da Produktionen des notorischen Geschichtsverkitschers Nico Hoffmann selten Gutes ahnen lassen und dem historisch Beschlagenen bisweilen die Magenschleimhaut in Falten zu schlagen vermögen. Im Falle von Charité aber sind Verklärungs- und Rührseligkeitsquote angenehm niedrig. Was vor allem daran liegt, dass die Drehbuchautorinnen Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann ihr historisches Handwerk verstehen. Bloß nichts beschönigen oder gar verklären, so schienen sie sich auf die Fahnen geschrieben zu haben. Und so ist ihre Charité Anno 1888 eine dreckstarrende Bruchbude, die jeden Hygienebeauftragten vermutlich auf der Stelle selbst zum Patienten machen würde.

Im Zentrum steht die 18jährige Ida Lenze (Alicia v. Rittberg), eine Arzttochter aus wohlhabendem Hause, die sich als Kindermädchen verdingen muss, seit ihre Eltern an Typhus gestorben sind und ein Verwandter das Erbe veruntreut hat. Zu Beginn schleppt sie sich mit einer akuten Blinddarmentzündung in die Charité. Notaufnahme ist nicht. Emil Behring (Matthias Koeberlin), einer der wenigen, die den damals revolutionären Eingriff beherrschen, entfernt im Hörsaal den entzündeten Appendix und rettet ihr damit das Leben. Noch auf dem Krankenbett bekommt sie ihre Kündigung mitgeteilt. Da sie ihre Behandlungskosten nicht aufbringen kann, muss sie ihre Schulden abarbeiten. Man kann dies fiktive Schicksal arg dick aufgetragen finden. Oder ein ziemlich gelungenes Beispiel dafür, wie schnell es zuweilen gehen konnte mit der Verelendung im von vielen als 'Gute alte Zeit' verklärten deutschen Kaiserreich.

Noch mehr gibt es zu sehen, das einem die Nostalgie austreibt. Gleich zu Anfang die Nöte einer Minderjährigen, die von einem Schlafburschen geschwängert wurde und deren letzte Hoffnung es ist, unter den Medizinstudenten einen zu finden, der die Sache diskret bereinigt. Beseitigten die Herren Studiosi doch, so raunen sich’s die damals noch Krankenwärterinnen genannten Pflegekräfte zu, doch selbst gern einmal die Folgen ihrer eigenen Eskapaden. Als sie abgewiesen wird und ein paar Tage später an den Folgen ihres eigenen Abtreibungsversuches stirbt, ist abends für die zusammengepfercht hausenden, teils dem Sozialismus nicht abgeneigten Wärterinnen die Sache klar: Das hätte nicht sein müssen. Und: Die Frauen müssen’s ausbaden. Als die obduzierte Leiche des Mädchens im Hörsaal auf dem Seziertisch liegt, geht es nur noch um die Frage, welcher der Anwesenden den Fötus für die anatomische Sammlung präparieren mag.

Was soll das alles, fragte ich mich zwischendurch. Ist das mal wieder Staatsfunkpropaganda? Sollen wir am Ende angesichts solcher Szenen gefälligst dankbar sein für unser heutiges pi-pa-properes Gesundheitssystem, statt immer nur zu mosern? Mag sein. Andererseits muss man sagen, mehr Klassenstandpunkt war lange nicht im hiesigen TV zur Primetime. Überflüssig zu sagen, dass auch Ida Lenze mit ihren medizinischen Ambitionen auf Granit beißt. Frauen seien dem Tiere näher als dem Menschen und somit den Belastungen eines Medizinstudiums und des Arztberufes rein körperlich nicht gewachsen, doziert Professor von Bergmann (Matthias Brenner), als er sie aus seiner Vorlesung komplimentiert, in die sie sich geschlichen hatte. Hach, wie gut, dass wir da heute viel weiter sind, will man sich da selbstzufrieden räkeln, vergisst aber leicht, dass noch in den 1960ern Frauen für ungeeignet gehalten wurden, 'tagesschau'-Nachrichten zu verlesen, da sie zu emotional seien. Und für unfähig, eine Sportsendung zu moderieren, galten sie noch länger.

Nicht nur um unten gegen oben geht es in 'Charité', sondern auch um alt gegen neu. Die alte Welt der Medizin verkörpert die gestrenge Oberschwester Martha (Ramona Kunze-Libnow), die es nicht anders kennt, als den Gebresten, mit denen die Menschen in die Charité kommen, mit religiösem Fatalismus zu begegnen. Ihr Standardsatz "Er/sie wird sowieso sterben.", in der Regel in Gegenwart der Patienten gesagt, gerät fast zum Running Gag. Dennoch erscheinen ihre täglich gepredigten Formeln wie die, dass Schmerz den Menschen näher zu Gott bringe und der Leidende dem Vorbild Jesu Christi besonders nahe sei, durchaus plausibel in einer Welt, in der man grassierenden Infektionen, bis ins 20. Jahrhundert Killer Nummer eins der Menschheit, außer wirkungslosen Therapieansätzen wie Aderlässen, kaum etwas anderes entgegenzusetzen hatte als Zuwendung, Bettruhe und Gebete.

Dem entgegen stehen die Ärzte Emil Behring, Paul Ehrlich (Christoph Bach), Robert Koch (Justus von Dohnányi) und Rudolf Virchow (Ernst Stötzner), die die Sache naturwissenschaftlich und empirisch angehen und sich, fast wie heutige Gründer im Silicon Valley, sicher sind, der ganz großen Nummer auf der Spur und weltweit damit ganz vorn zu sein. Womit sie durchaus richtig lagen. Virchows Bemerkung, Dolmetscher seien auf dem Medizinischen Kongress in Berlin nicht nötig, da in der Medizin eh alle Welt deutsch spreche, erscheint weniger als nationalistisches Geprotze, denn als nüchterne Feststellung.

Obwohl die Brillen nickeln und die Bärte ehrwürdig rauschen, sind diese Ärzte alles andere als die Säulenheilige, zu denen Nachruhm sie gemacht hat. Sie stellen Fehldiagnosen, rätseln herum, sind leichtsinnig und gönnen dem andern zuweilen nicht die Butter auf dem Brot. Denn sie begreifen sich sind nur als Heiler, sondern auch als Unternehmer in eigener Sache und machen keinen Hehl daraus, ihre Entdeckungen auch in Reichsmark und Pfennig vergolden zu wollen. Was zuweilen schief geht. So will Koch sein Tuberkuloseserum möglichst schnell auf den Markt bringen und geht dabei über Leichen. Doch genossen die Herren Medici als Speerspitzen nationaler Forschung den vollen Zuspruch des gerade inthronisierten Kaisers Wilhelm II. (Der übrigens, auch das sei lobend erwähnt, als der aufgeblasene, überforderte und inkompetente Fatzke erscheint, der er wahrscheinlich war.)

Nun mag die Erkenntnis, dass auch bedeutende Ärzte letztlich bloß Menschen sind, trivial sein. Wäre da hierzulande nicht diese Neigung, Weißkittel zu selbstlosen, allein von edelsten Motiven getriebenen Erlöserfiguren zu stilisieren, zu den sprichwörtlichen Halbgöttern in Weiß. Zu Zivildienstzeiten setzte ich mich da kräftig in die Nesseln. Zwei altgediente Angestellte des katholischen Krankenhauses, in dem ich Dienst tat, schwärmten vom ehemaligen Chefarzt der Gynäkologie, als redeten sie über ein höheres Wesen. Als eine von beiden sagte: "Hach, der Herr Profeeessor Pofel hat ja die halbe Stadt auf die Welt geholt!", meinte ich: "Ja und? Das war sein Job." Die Temperatur im Raum sank schlagartig und spürbar. Die vergrätzten Damen würdigten mich monatelang keines Blickes. Klarer Fall von Majestätsbeleidigung. Oder Halbgotteslästerung.

Möglich, dass von den Zeiten, als an der Charité eine Handvoll draufgängerischer Ärzte einen medizinischen Durchbruch nach dem anderen erzielten, womit sie unzählige Leben retteten und wofür sie später zu politisch unverfänglichen Heldenfiguren wurden, eine direkte Linie führt zur noch heute hier und da spürbaren hiesigen  Ärzteverherrlichung. Deren Höhepunkt war vermutlich erreicht, als 1985 'Die Schwarzwaldklinik' ausgestrahlt wurde. Da gesellte sich zur hergebrachten Klinikhierarchie aus Assistenzarzt, Stationsarzt, Oberarzt und Chefarzt noch der Überarzt in Gestalt des Klausjürgen Wussow gespielten Professor Brinkmann. Der Personenkult trieb derart skurrile Blüten, dass sogar Moribunde im Rathaus der Gemeinde Glottertal im Schwarzwald anriefen, und flehten, ob denn der Herr Professor nicht wenigstens einen Blick darauf werfen könnte, das sei ihre letzte Hoffnung.

Um so wichtiger, dass endlich die Staubschicht von einigen Denkmälern gepustet wird. Und wenn’s denn öffentlich-rechtlich passiert, soll’s mir auch recht sein.





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